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Die Sicherheitskonzeption für den Gotthard Strassentunnel 20 Jahre nach dem Grossbrand von 2001

Nach den Tunnel-Grossbränden im Montblanc und im Tauern Strassentunnel 1999 sowie im Gotthard Strassentunnel am 24. Oktober 2001 überprüfte das Bundesamt für Strassen ASTRA alle Nationalstrassentunnel mit einer Länge von mehr als 300 Metern auf mögliche Optimierungen der Tunnelsicherheit. Wir sprachen mit Christian Gammeter, dem Fachbereichsleiter Tunnel und Geotechnik im Bereich Standards und Sicherheit der Infrastruktur, über den heutigen Stand der Sicherheitsmassnahmen.

Systematischer Ansatz vereint vier Bereiche


Die Sicherheit in Strassentunneln, erklärt Christian Gammeter, ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Fahrzeugführern, den Fahrzeugen, der Tunnel-Infrastruktur und dem Betrieb. In allen vier Bereichen seien in den vergangenen Jahren grosse Anstrengungen unternommen worden, um kritische Ereignisse wie z. B. Unfälle und Fahrzeugbrände prioritär zu vermeiden. Sekundäres Sicherheitsziel des ASTRA ist, die Folgen solcher Ereignisse weitgehend begrenzen zu können. Dies soll erstens dadurch erreicht werden, dass Tunnelnutzer auf kritische Situationen richtig reagieren und sich selbst in Sicherheit bringen können. Zweitens investiert das ASTRA intensiv in die Ereignisdienste. Es finanziert die Schadenwehr Gotthard, über die wir anlässlich des 20. Jahrestages des Ereignisse vom 24. Oktober 2001 bereits ausführlich in einem Magazin-Beitrag berichtet haben. Und es finanziert die Ausbildung der für Strassentunnel zuständigen Stützpunktfeuerwehren an der International Fire Academy.

Zielgruppe Fahrzeugführer


Die meisten Unfälle sind Folge von Fehlern der Fahrzeugführer, worauf das ASTRA generell nur begrenzt Einfluss hat. Es versucht aber, die Nutzung der Tunnel zu erleichtern, beispielsweise durch eine optimierte Beleuchtung und Signalisation. Die dazu notwendigen Umbauten nutzt das ASTRA übrigens auch, um auf LED-Beleuchtungen umzustellen und somit den Energieverbrauch zu senken.

Mehr Sicherheit konnte auch dadurch erreicht werden, dass das richtige Verhalten in Tunneln heute bereits in der Fahrausbildung thematisiert und wichtiges Wissen dazu geprüft wird. Auf der Website des ASTRA finden Verkehrsteilnehmer weitere Informationen zur Nutzung von Tunnelanlagen. Eine spezielle Zielgruppe für das ASTRA, so Christian Gammeter, sind Lastwagenchauffeure und Fahrer von Gefahrguttransporten, denen spezielle Schulungen angeboten werden und die auch regelmässig zu sicherheitsrelevanten Aspekten ihrer Fahrzeuge und ihres Equipments getestet werden.

Fahrzeugsicherheit


Bei der Fahrzeugsicherheit, sagt Christian Gammeter, liegt der Fokus auf den Lastwagen, da diese im Brandfall eine mehrfache Brandleistung von Personenwagen entwickeln. Deshalb werden Lastwagen jährlich auf Betriebssicherheit geprüft und müssen obligatorisch mit Feuerlöschern ausgerüstet sein. In Scheiteltunneln wie dem Gotthard Strassentunnel ist die Brandgefahr besonders gross, weil die Lastwagen auf den steil aufsteigenden Zufahrtsrampen heisslaufen können. Deshalb wurden an beiden Portalen des Gotthard Strassentunnel Thermoportale installiert, die die Lastwagen automatisch mit Thermosensoren abtasten.

Stopp bei Überhitzung


Zeigt das Überwachungssystem eine Überhitzung an, wird der betreffende Lastwagen aus dem Verkehr gezogen und von der Gotthard Schadenwehr überprüft. Weiterfahren dürfen die Lastwagen erst, wenn sie abgekühlt sind oder die festgestellte Erwärmung keine Gefahr darstellt. Auf diese Weise können Lastwagenbrände innerhalb des Tunnels jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Der Grossbrand von sieben Lastwagen am 24. Oktober 2001 wurde durch den Zusammenstoss zweier Lastzüge ausgelöst. «Auch in diesem Bereich gibt es», so Christian Gammeter, «keine absolute Sicherheit, weshalb wir die Infrastruktur so gestalten, dass die Folgen kritischer Ereignisse für Menschen, die Umwelt und die Tunnelanlagen selbst begrenzt werden können.»

Infrastruktur für den Brandfall


Im Bereich der Tunnelinfrastruktur wurden gegenüber der Situation im Jahr 2001 «entscheidende Sicherheitsgewinne durch die Optimierung der Lüftungstechnik und der Fluchtwege erzielt», erklärt Christian Gammeter. Im Gotthard Strassentunnel wurde die Lüftung so umgestaltet, dass sich der Rauch nicht mehr über grosse Strecken in der Tunnelröhre ausbreiten kann. Er wird vor und hinter der Brandstelle in die Lüftungsschächte gesogen, die sich über der Zwischendecke befinden. Mit dem Rauch wird auch ein grosser Teil der Hitze abgeführt, weshalb diese Absaugtechnik die Gefahr einer Brandausbreitung auf weitere Fahrzeuge reduziert.

2001 hatte sich der Brand der beiden zusammengestossenen Lastwagen auf fünf weitere Lastwagen ausgebreitet. «Das ist heute», so Christian Gammeter, «wenig wahrscheinlich. Den besten Schutz gegen eine Brandausbreitung bringt aber nach wie vor ein grosser Abstand zwischen Fahrzeugen. Er sollte bei Lastwagen 150 Meter betragen – auch und gerade im Stillstand!» Die Fluchtwege wurden im Gotthard Strassentunnel vor allem durch eine deutliche bessere Signalisation und Ausleuchtung optimiert, dank der sie auch bei dichtem Rauch aus grosser Entfernung zu erkennen sind.

Vom Verkehrsmanagement bis zur Intervention


Das Verkehrsaufkommen durch den Gotthard Strassentunnel hat sich in den 31 Jahren seit der Eröffnung im Herbst 1980 mehr als verdoppelt. Fuhren 1981 knapp 3 Millionen Fahrzeuge durch den Tunnel, weist die ASTRA-Statistik für 2019 fast 6,4 Millionen Durchfahrten aus. Damit kommt der Tunnel immer wieder an seine Belastungsgrenzen, weshalb ein Tropfenzählersystem eingeführt wurde, das die Zahl der im Tunnel befindlichen Lastwagen automatisch begrenzt und damit das Einhalten genügend grosser Abstände zwischen den Lastwagen unterstützt. Damit wird das Risiko von Lastwagenbränden erheblich reduziert – aber eben nicht ausgeschlossen. Deshalb finanzierte das ASTRA 2005 die Entwicklung und den Bau der Übungstunnelanlagen in Balsthal und Lungern und trägt die jährlichen Ausbildungskosten jener Angehörigen von Stützpunktfeuerwehren, die in schweizerischen Nationalstrassentunneln zum Einsatz gelangen.

Die Anstrengungen für mehr Sicherheit gehen aber weit über solche Massnahmen hinaus. «Wir arbeiten ständig daran, das System Fahrer-Fahrzeug-Infrastruktur-Betrieb immer besser zu verstehen und zu optimieren», sagt Christian Gammeter, wozu das ASTRA auch selbst eigene Forschungen betreibt, oder in Auftrag gibt, beispielsweise zu den Risiken von Elektrofahrzeug-Bränden.

Im dritten Beitrag zu unserem Rückblick auf den Grossbrand im Gotthard Strassentunnel vor 20 Jahre berichten wir, welche Bedeutung dieses Ereignis für die International Fire Academy hatte.

IFA
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Christian Brauner

Leiter Didaktik- und Entwicklungsteam

Leiter Didaktik- und Entwicklungsteam Christian Brauner