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Feuerwehr Seattle testet Schweizer Tunneleinsatzlehre

Die Feuerwehr Seattle erstellt derzeit eine eigene Tunneleinsatzlehre, die einer Vielzahl von Strassen-, Eisenbahn- und U-Bahn-Tunneln und den daraus resultierenden Herausforderungen für die Einsatzkräfte gerecht werden soll. Einsatzplaner hatten sich bereits 2016 an der International Fire Academy informiert. Ende 2022 kamen 14 Kollegen der nordamerikanischen Feuerwehr nach Balsthal, um praktische Erfahrungen mit unseren Einsatzlehren zu sammeln und Anregungen für ihre weitere Entwicklungsarbeit zu erhalten. Dabei lernten die Schweizer Instruktoren einige Unterschiede zwischen amerikanischen und europäischen Feuerwehren kennen.

Rettungseinheiten «Engine 36» und «Rescue 1»


Mit 713'000 Einwohner ist Seattle die grösste Stadt im Nordwesten der USA. Ihre Feuerwehr zählt über 1'000 Angehörige an 39 Standorten. Die 14 Kursteilnehmer stammen von den Feuerwachen 14 und 36, in denen die Rettungseinheit «Rescue 1» und die Löscheinheit «Engine 36» stationiert sind. Eine Woche lang testeten sie auf den Übungsanlagen in Balsthal und Lungern unter realitätsnahen Einsatzbedingungen Taktiken und Techniken der Schweizer Tunneleinsatzlehren sowie in Europa übliches Gerät.

Lockerheit und Disziplin


Auf die Frage, was das Besondere an diesem Kurs gewesen sei, resümiert Kurskommandant Thomas Luder: Die Offenheit der amerikanischen Kollegen. Sie hielten nicht an ihrer Doktrin fest, sondern probierten einfach aus, was ihnen gezeigt wurde. Und wenn sie nicht gleich überzeugt waren, dann hiess es: «Gib mir zwei, drei Gründe, warum ich das so machen soll.» Als sehr positiv empfanden die Instruktoren der International Fire Academy die «Kombination von typisch amerikanischer lockerer Art mit hoher Disziplin», sagt Thomas Luder. So wurde mancher Auftrag mit einem «Yes, Sir!» beantwortet, was in den Ohren schweizerischer Instruktoren höchst ungewöhnlich klingt.

Alles einmal ausprobieren


Der Wunsch der Gäste aus Seattle war, «alles, was Ihr so macht, einmal auszuprobieren». Dabei zeigte sich, dass die Vorgehensweisen amerikanischer Feuerwehren bei allen Gemeinsamkeiten mit den in Europa üblichen Prozeduren zum Teil doch sehr unterschiedlich sind.

Grosse Unterschiede in der Taktik

Viel Diskussionsstoff bot das in Europa inzwischen allgemein akzeptierte taktische Prinzip «Löschen um zu retten», weil es nicht 1:1 auf die in Nordamerika übliche Vorgehensweise zu übertragen ist. Dort gilt: Die Löscheinheit löscht und rettet nicht. Die Rettungseinheit rettet und löscht nicht. In Europa ist es hingegen üblich, dass jeder Trupp je nach Situation sowohl zum Löschen als auch zum Suchen & Retten eingesetzt werden kann. Nun arbeiten die Kollegen aus Seattle daran, die Grundidee des «Löschen um zu retten» mit ihren Standardprozeduren zu kombinieren.

Kein Einsatz mit Twin Packs in den USA

Zu den wichtigsten Erfahrungen der amerikanischen Kollegen dürfte das Arbeiten mit Zweiflaschengeräten zählen. Denn in den USA sind diese Twin Packs unüblich; warum das so ist, konnten die amerikanischen Kollegen nicht begründen. Die Feuerwehr Seattle verwendet für Tunneleinsätze Regenerationsgeräte, mit denen die Gäste Einsatzübungen in Balsthal und Lungern durchführten. Sie konnten aber auch mit Zweiflaschengeräte arbeiten und zeigten sich überzeugt, dass diese bei Brandeinsätzen trotz des hohen Gewichts weniger belasten als die Regenerationsgeräte, deren recycelte Atemluft sich erwärmt.

Neue Entdeckung: die Halbschleiftrage

Schnell vertraut waren die Kameraden aus Seattle mit den Suchstöcken. Auch mit gerollten Schläuchen konnten sie sich anfreunden, obwohl sie zu Hause überwiegend mit Schlauchpaketen arbeiten. Fasziniert zeigten sie sich von den Transportmitteln: Schleifkorbtragen mit Rollen sind in den USA kaum bekannt, und auch die Halbschleiftrage fand grosses Interesse. Regelrecht begeistert waren sie von der in Europa üblichen Einsatzkleidung, die wesentlich leichter ist als die der amerikanischen Kollegen.

Andere Länder, andere Feuerwehren


Kameraden aus einem teilweise ganz anderen Feuerwehrsystem zu empfangen, war für die Instruktoren der International Fire Academy eine enorme Herausforderung. Aber es scheint gelungen. Nur ein Beispiel aus dem schriftlichen Lob, das wir erhielten: «Toller Kurs! Das Material war aufschlussreich und die Handhabung wurde auf logische Art und Weise vermittelt. So wurden zum Beispiel Taktiken und Fallstudien besprochen, bevor es an die Detailstationen ging, und dann schliesslich die Praxis. Es gab eine Menge praktischer Informationen mit Anwendungen aus der realen Welt. Die Ausbilder waren hervorragend. Sie verfügten über ein hohes Mass an Wissen und eine gute Mischung aus Professionalität und Spass. Vielen Dank für eine grossartige Schulungswoche und dafür, dass wir uns wie zu Hause gefühlt haben! Ich hoffe, wir kommen eines Tages wieder.»

Die International Fire Academy hat bereits Feuerwehrleute von beinahe allen Kontinenten begrüssen dürfen. Und wir freuen uns auf alle weitere Gäste aus aller Welt und jeden Erfahrungsaustausch.