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Umfrage zu ethisch schwierigen Entscheidungen: Eigene Sicherheit ist ein wichtiges Argument

Am 14. Dezember vergangenen Jahres widmete sich das dritte Online-Forum der International Fire Academy dem Thema Ethik im Einsatz. Im Vorfeld hatten wir eine anonyme Umfrage durchgeführt, bei der 300 Teilnehmer angaben, wie sie in bestimmten Situationen entscheiden würden. Die Umfrage ist weder repräsentativ, noch genügt sie strengen wissenschaftlichen Kriterien einer sozialwissenschaftlichen Untersuchung. Aber sie gibt doch Anhaltspunkte wie – teils sehr unterschiedlich – der moralische Kompass von Feuerwehrangehörigen ausschlägt. In diesem Magazinbeitrag veröffentlichen wir die Ergebnisse. In einem weiteren Beitrag werden wir in Kürze ausführlich über die im dritten Online-Forum diskutierten grundsätzlichen ethischen Fragestellungen berichten.

In der moralischen Zwickmühle


Immer wieder fragen uns Kursteilnehmer, wie zum Beispiel in Triage-Situationen zu verfahren sei. Deshalb hatten wir zum dritten Online-Forum die Medizinethikerin Dr. Kathrin Knochel eingeladen, um mit ihr als Expertin grundsätzliche ethische Fragestellungen zu erörtern. Vorab aber wollten wir wissen, wie Feuerwehrangehörige spontan in sogenannten Dilemma-Situationen entscheiden, also in moralischen Zwickmühlen, für die es keine sicher richtigen Lösungen gibt. Dazu entwickelten wir mit Dr. Knochel sieben Einsatz-Szenarien mit jeweils zwei bis vier möglichen Antworten. 

Die sieben diskutierten Szenarien


Nachfolgend zeigen wir die Szenarien und die Ergebnisse. Für alle Szenarien gilt: Es wären auch jeweils andere als die angebotenen Entscheidungen denkbar. Simuliert werden sollte durch die Umfrage, dass in der skizzierten Lage nur die jeweils genannten Möglichkeiten erkannt werden und zwischen diesen zu entscheiden ist. Dabei sollte sich zeigen, wie unterschiedlich verschiedene Feuerwehrangehörige entscheiden.

Triage

Im Szenario Triage überwog die Auffassung, dass es sinnvoller sei, zwei statt nur einen Menschen zu retten. Dieses Ergebnis kann so interpretiert werden, dass es für viele Umfrageteilnehmer akzeptabel ist, die Effizienz als wesentliches Entscheidungskriterium zu wählen.

Angst

Bei den Antworten zum Szenario Angst fällt auf, dass zwei Möglichkeiten überwiegend ausgeschlossen wurden. Weder soll der Verängstigte zum Weitergehen gezwungen noch alleingelassen werden. Ein Fünftel der Teilnehmer setzte die Sicherheit des Trupps an erste Stelle. 80 Prozent entschieden sich für einen Mittelweg zwischen Sicherheit und Einsatzauftrag.

Mann über Bord

Das Szenario Mann über Bord unterscheidet sich gravierend vom Szenario Angst. Ein Truppmann ist im dichten Rauch plötzlich verschwunden. Warum, ist unklar. Aber es ist anzunehmen, dass der Truppmann in Gefahr ist und z. B. einen Schwächeanfall erlitten hat. Davon ausgehend entschieden sich viele Umfrageteilnehmer, mit allen Kräften nach dem Vermissten zu suchen. Hier wurde als Grund von vielen angegeben, dass die Chance, den Kameraden schnell zu finden, umso grösser ist, wenn sich alle Trupp-Angehörigen an der Suche beteiligen. Als weiterer Grund wurde genannt, dass sich die Einsatzkräfte in Sorge um den Kameraden gar nicht mehr auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren können. Gleichwohl entschied sich ein Viertel dafür, den Trupp zu teilen, um sowohl dem ständigen Auftrag der eigenen Sicherheit als auch dem Einsatzauftrag gerecht zu werden.

Eigene Sicherheit 1

Auch im ersten Szenario zum Thema der eigenen Sicherheit finden die beiden angebotenen Extrempositionen wenig Zustimmung. Die meisten Umfrageteilnehmer entschieden sich dafür, die Brandbekämpfung aufzunehmen, sowie dies ohne grössere Risiken möglich sei. Das entspricht allerdings, wie viele Teilnehmer des Online-Forums bemerkten, dem allgemeinen Grundsatz, stets die eigene Sicherheit zu beachten.

Eigene Sicherheit 2

Im zweiten Szenario zum Thema der eigenen Sicherheit sind nicht nur hohe Sachwerte, sondern auch ein Menschenleben bedroht. Wohl deshalb waren bei diesem Szenario mehr Umfrageteilenehmer bereit, grosse Risiken für die Einsatzkräfte einzugehen. In der Diskussion dieser beiden Szenarien wurde die richtige Einschätzung von Risiken als grosse Herausforderung bei letztlich allen Feuerwehreinsätzen erkannt. Das heisst: Solche Entscheidungsdilemmata könnten bis zu einem gewissen Grad durch Wissen und Erfahrung reduziert werden.

Eigene Sicherheit 3

Auch im dritten Szenario zum Thema der eigenen Sicherheit war zwischen Effizienz und Sicherheit abzuwägen – mit ähnlichen Antwortverteilungen wie bei den vorangehenden Szenarien. Im Chat-Kanal des Online-Forums nannten viele Teilnehmer als wesentliche Entscheidungshilfe die Regel, dass ein (Zweier-)Trupp immer zusammenbleiben muss und sich nie trennen dürfe.

Das Boot ist voll

Als äusserst schwierig empfanden viele Umfrageteilnehmer das Szenario Das Boot ist voll, bei dem beide der angebotenen Entscheidungsmöglichkeiten dazu führen können, dass Menschen verletzt oder nicht rechtzeitig gerettet werden. Beide Optionen wurden ungefähr gleich oft gewählt. Allerdings fand das Szenario selbst nur bedingte Akzeptanz. In Chat-Beiträgen und sonstigen Rückmeldungen stellten einige Teilnehmer die Frage, ob es überhaupt zu einer Situation wie dargestellt kommen könne, oder sie argumentierten, dass diese Zwickmühle durch ein anderes taktisches Vorgehen zu vermeiden sei.

Ethik als Element der Ausbildung?


Die International Fire Academy zieht aus der Umfrage und dem Online-Forum zum Thema Ethik drei vorläufige Schlüsse.

  • Erstens: Das Interesse an den Fragestellungen ist gross und es könnte sinnvoll sein, die Taktikausbildung um ethisch schwierige Entscheidungen und deren Diskussion zu ergänzen.
  • Zweitens: Viele Einsatzregeln der Feuerwehren, z. B. einen Zweiertrupp nicht zu trennen, beinhalten ethische Grundsatzentscheidungen; es könnte hilfreich sein, diese herauszuarbeiten.
  • Drittens: Ethische Entscheidungen werden nicht nur auf Ebene der Einsatzleiter, sondern auch auf übergeordneten Organisationsebenen getroffen, z. B. welche Kräfte und Mittel von einer Feuerwehr vorgehalten werden. Denn davon kann abhängen, wann und wie Ressourcenmangel entsteht und dann z. B. triagiert werden muss.

Mit diesen Thesen wird sich der nächste Magazinbeitrag zum Thema ausführlich auseinandersetzen.

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