Anlagen des Wasserstoffversuchszentrums am KIT

Worst Case: Tödliche Druckwelle bis zum Tunnelportal

Nicht nur im Falle eines Brandes stellen Tunnel durch ihre besondere Architektur Feuerwehren vor grosse Herausforderungen. Auch das Fluten einer Röhre durch massiven Wassereinbruch kann Autofahrer und Einsatzkräfte gefährden. Weitaus gravierender aber würde sich die typische Tunnelform einer Röhre bei einer Explosion auswirken. Die Hintergründe zu solchen Szenarien waren Thema beim 5. Online-Forum der International Fire Academy.

Der Worst Case ist nicht unwahrscheinlich


Dietmar Schelb vom KIT skizzierte am 5. Online-Forum ein Szenario mit gravierenden Auswirkungen. Die Ausgangssituation ist dramatisch, aber kein seltener Fall: Ein Kraftfahrer bremst nicht rechtzeitig, fährt in ein Stauende und sein Lastwagen zertrümmert einen Personenwagen. Was aber würde passieren, wenn sich der Stau in einem Tunnel befände und der Personenwagen wasserstoffangetrieben wäre? Ein Szenario, das nach Einschätzung von Dietmar Schelb mit der steigenden Zahl an wasserstoffangetriebenen Fahrzeugen immer wahrscheinlicher wird. «Es ist nicht die Frage, ob es passiert, sondern wann es passiert», so Schelb. Die Folgen wären nicht mit bisherigen Tunneleinsätzen vergleichbar.

Sollte bei einem Auffahrunfall im Tunnel der Wasserstofftank reissen, könnte sich der ausströmende Wasserstoff derart mit Luft vermischen, dass ein zündfähig vorgemischtes Gas entsteht. Wenn sich dieses in der Folge beispielsweise an heissen Motorelementen zur Zündung käme, könnte es zu einer Explosion mit einer Druckwelle kommen, die bei einem Tunnel – gleich welcher Länge – selbst noch an den Portalen tödlich wirken könnte.

Ein wesentlicher Faktor für eine derart gravierende Wirkung ist die Tunnelarchitektur: Eine Druckwelle würde sich in der Röhre ohne Hindernisse annähernd ungebremst ausbreiten. Die Stärke der Druckwelle wäre unter anderem von der Flammengeschwindigkeit des Wasserstoffs (3 m/s) abhängig, die um ein Vielfaches höher ist als bei anderen Kraftstoffen (z. B. Benzin 0.5 m/s) und sich durch Turbulenzen bis zum Faktor 100 erhöhen kann. 

Durch das Zusammenwirken aller ungünstigen Faktoren, schätzt Dietmar Schelb, dass im geschilderten Szenario eine Druckwelle von durchaus 10 bar möglich ist. An den Portalen wäre dann noch mit einer Druckwelle von vielleicht 5 bar zu rechnen. Ab 2 bar muss von einer tödlichen Druckwelle ausgegangen werden.

Weitere Gefahrenpotenziale durch Wasserstoff


Durch die besonderen Eigenschaften von Wasserstoff entstehen auch bei einem Fahrzeugbrand besondere Gefahren: Da Wasserstoff beim Verbrennen nicht russt, ist die Flamme nicht oder kaum sichtbar. Auch die Wärmestrahlung im Infrarot-Bereich ist derart gering, dass Wasserstoff-Flammen auf eine vergleichsweise kurze Distanz noch nicht spürbar ist. Sorgt ein Sicherheitsventil bei einem Brand dafür, dass Wasserstoff aus dem Tank abgeblasen wird, kann dies plötzlich zu einer Stichflamme von mehreren Metern Länge führen. Ob eine solche Wasserstoffflamme im Display jeder Wärmebildkamera zu sehen ist, müsste noch genau geklärt werden, sagt Dietmar Schelb. Akustisch wäre das Ausströmen des  Wasserstoffs wegen der hohen Drücke durch ein Zischen wahrnehmbar.

Kritisch wäre auch ein Leck im Tank eines wasserstoffangetriebenen Fahrzeugs, das in einer Tiefgarage geparkt ist. Ausströmender Wasserstoff könnte in das Lüftungssystem gelangen, sich dort ausbreiten und durch nicht explosionsgeschützte Ventilatoren gezündet werden. Insgesamt zeigte Dietmar Schelb sehr unterschiedliche Szenarien mit wasserstoffangetriebenen Fahrzeugen auf. Besondere Hinweise für den Feuerwehreinsatz sind ihm dazu bisher allerdings nicht bekannt.

Umfassender Forschungsbericht

Ausführliche Informationen zum Vortragsthema können im Forschungsbericht «Besonderheiten und Risiken bei alternativ angetriebenen Fahrzeugen» nachgelesen werden, den Dietmar Schelb und Thomas Jordan, Leiter der Wasserstoffgruppe am KIT, im Auftrag der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (D) für den Ausschuss für Feuerwehrangelegenheiten, Katastrophenschutz und zivile Verteidigung erstellt haben.

Wassermassen strömen in den Dußlinger Tunnel


Der Wiesbach unterquert rund 500 m südlich des Dußlinger Tunnels die B27 in westliche Richtung. Am Abend des 28. Juni 2021 aber schwoll der kleine Bach nach einem Starkregen in der Nachbargemeinde Nehren extrem an. Die überschiessenden Wassermassen folgten nicht mehr dem Bachlauf, sondern strömten über Wiesen und Äcker parallel zur B27, bevor sie sich vor dem Südportal über die Böschung in den Tunnel ergossen.

Die Freiwillige Feuerwehr Dußlingen erhielt am Abend des Starkregenereignisses von der Leitstelle den Auftrag, den Tunnel zu kontrollieren. Ihr stellvertretender Kommandant Patrick Klett schilderte sehr anschaulich, was er und die Besatzungen von vier Einsatzfahrzeugen an den beiden Portalen und am Betriebsgebäude erlebten. Um das Betriebsgebäude stand das Wasser ca. 40 cm hoch, so dass kein Zugang möglich war. Auf der Südseite, wo das Wasser massiv in den Tunnel strömte, stand ein Kleintransporter ca. 90 m vom Portal entfernt in den Fluten. Die Verständigung mit dem Fahrer war schwierig, da er weder Deutsch noch Englisch verstand. Während das Wasser stieg, konnten die Einsatzkräfte den Mann schliesslich davon überzeugen, das Fahrzeug zu verlassen.

HLF ging in den schnell einströmenden Fluten unter

Am Nordportal entdeckten die Einsatzkräfte einen im Tunnel treibenden Personenwagen. Dessen Fahrer hatte sich auf das Fahrzeugdach geflüchtet. Das HLF fuhr in den Tunnel ein, so dass der Mann auf das Dach des Feuerwehrfahrzeugs gerettet werden konnte. Allerdings stieg der Wasserpegel im Tunnel so rasant, dass kein Rückzug mehr möglich war und die Kameraden einen Notruf absetzen mussten. Letztlich gelang es, alle Personen rechtzeitig aus dem Tunnel zu retten. Das HLF musste im Tunnel hinterlassen werden.

Eine Vorstellung davon, welche Wassermassen den Tunnel Dußlingen fluteten, vermittelt ein Blick auf die Aufräumarbeiten: Mehrere Ortsgruppen des Technischen Hilfswerkes pumpten den Tunnel über rund 40 Stunden leer. Die Hochleistungspumpen förderten dabei bis zum 16.000 Liter pro Minute.

Monitoring des Tunnels erweitert

Nach diesem Ereignis folgten mehrere Anpassungen: Das Landratsamt hat das Szenario Hochwassereinsatz in den Tunneleinsatzplan aufgenommen, und der Tunnel wird künftig bei Starkregenereignissen überwacht. Im Einsatzfall kann die Feuerwehr Dußlingen in der Einsatzzentrale auf die Tunnelkameras zugreifen. Die Gemeinde Dußlingen beauftragte zudem eine Studie zu Starkregenereignissen. Zudem wird überlegt, am Südportal des Dußlinger Tunnels eine bauliche Veränderung im Bereich der Böschung vorzunehmen.