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Auf dem Weg zu Einsatzregeln für Wasserstoff-Einsätze

Auf den Strassen und damit auch in Tunneln und Tiefgaragen sind immer mehr Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb unterwegs. Deshalb engagiert sich die International Fire Academy im Projekt «HyResponder». Gemeinsam mit Feuerwehren und Feuerwehrschulen aus mehreren europäischen Ländern soll ein spezieller Lehrgang für Einsätze an Fahrzeugen und Anlagen mit Brennstoffzellen-Technik entwickelt werden. Zur Halbzeit des auf drei Jahre angelegten Projektes geben wir hier einen Zwischenbericht.

Immer mehr Anwendungen von Wasserstoff-Technologien


Noch vor kurzer Zeit galt Wasserstoff als möglicher Energieträger der Zukunft. Tatsächlich sind Wasserstoff-Technologien längst schon Gegenwart. Die Website H2stations.org weist allein für die Schweiz bereits elf Wasserstoff-Tankstellen aus. Und das Detailhandelsunternehmen Migros beispielsweise setzt acht wasserstoffbetriebene Lastwagen für die tägliche Belieferung seiner Märkte ein. Schon heute also könnte jede Feuerwehr mit einem Unfall oder Brand eines wasserstoffbetriebenen Fahrzeuges auch z. B. in einem Tunnel oder in einer Tiefgarage konfrontiert werden. Vor diesem Hintergrund engagiert sich die International Fire Academy in Abstimmung mit der Feuerwehr Koordination Schweiz (FKS) in einem von der Europäischen Union geförderten Projekt für die Entwicklung von speziellen Lehrgängen für Feuerwehrangehörige zum Thema Wasserstoff.

Wissensbasiert und praxisorientiert


Koordiniert wird das Projekt vom HySafer Centre der Ulster University in Belfast (Nordirland), einem der weltweit führenden Forschungsinstitute für Wasserstofftechnologien. Feuerwehrseitig hat die Ecole Nationale Supérieure des Officiers de Sapeurs-Pompiers, also die französische Feuerwehr-Offiziersschule, die Federführung übernommen. Insgesamt sind 16 Experten von Feuerwehren und Feuerwehrschulen, Behörden, Industrieunternehmen und wissenschaftlichen Instituten beteiligt. Gemeinsam sollen sie ein Train-the-Trainer-Programm entwickeln, auf dessen Grundlagen Feuerwehrangehörige aller Führungsstufen für Einsätze ausgebildet werden können, bei denen Wasserstoff in irgendeiner Weise involviert ist. Im Ergebnis sollen sowohl eine umfangreiche Wissensdatenbank als auch Empfehlungen für Einsatztaktik und -technik zur Verfügung gestellt werden. Für die Vermittlung der Inhalte sollen auch Virtual-Reality-Technologien eingesetzt werden. In diesem Beitrag zeigen wir erste Entwürfe der Crisis Simulation Engineering Sàrl (Frankreich) für die virtuellen Übungsszenarien.

Herausforderung zielgruppengerechte Lehrinhalte


Eine der grossen Herausforderungen des Projektes besteht in der zielgruppengerechten Aufbereitung der Lehrinhalte. Dafür wurden vier Zielgruppen definiert: Frontkräfte, Gruppenführer, Einsatzleiter und Spezialisten. Für Spezialisten stehen umfangreiche Lektionen zur Verfügung, die das gesamte aktuelle Wissen zum sicheren Umgang mit Wasserstoff-Technologien abdecken. Ergänzend wird ihnen ein «e-laboratory» genanntes Modul angeboten, mit sich komplexe Berechnungen zum Verhalten von Wasserstoff durchführen lassen. So kann z. B. die Länge von Wasserstoff-Stichflammen in Abhängigkeit von den technischen Eigenschaften und dem aktuellen Zustand eines Wasserstoff-Fahrzeugtanks errechnet werden. Dieses Werkzeug dürfte vor allem für Feuerwehrangehörige hilfreich sein, die an Genehmigungsverfahren beispielsweise für Wasserstoff-Tankstellen beteiligt sind.

Im Einsatz hingegen sind die Daten, die in das Berechnungsmodul eingegeben werden müssen, meist nicht verfügbar. Deshalb arbeiten die Projektmitglieder derzeit intensiv an einfachen Faustregeln für Einsatzkräfte. Zum Beispiel um abschätzen zu können, wie lange es in etwa dauert, bis der gesamte Inhalt eines Wasserstoff-Tanks, der kontrolliert abgebrannt wird, aufgezehrt ist.

Grösste Sorge: Explosionsgefahr


Grösste Sorge bereiten den am Projekt beteiligten Feuerwehrangehörigen die möglichen Explosionsgefahren. Zwar ist die Freisetzung von Wasserstoff ohne Entzündung eher selten; zudem verflüchtigt sich Wasserstoff sehr schnell. In geschlossenen Räumen wie z. B. Tunneln oder Tiefgaragen ist die Bildung eines explosionsfähigen Gas-Luftgemisches jedoch nicht auszuschliessen und stellte dann für die Einsatzkräfte selbst ein sehr grosses Risiko dar. Denn gegen Feuer und Rauch können sie sich gut schützen, nicht aber gegen die Druckwelle einer Explosion. In diesem Zusammenhang stellen sich viele Fragen, so zum Beispiel:

  • Welche Abstände sollten Einsatzkräfte einhalten?
  • Ist ein Innenangriff in einer Tiefgarage, in der Wasserstoff ohne Zündung aus einem Fahrzeug entwichen ist, zu verantworten?
  • Wie gross sollten die Räumungsradien um havarierte Wasserstoff-Fahrzeuge sein?

Dies sind zentrale und ausserordentlich schwierige Fragen des Projektes. Grosse Hoffnungen werden deshalb auf neue Technologien gesetzt, die die Explosionsgefahren von wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen praktisch eliminieren können, beispielsweise mittels Tanks, die, wenn sie erhitzt werden, den Wasserstoff durch die Tankwand entweichen lassen; der Tank brennt dann zwar, es kann jedoch nicht zu einem gefährlichen Druckanstieg kommen, der zum Bersten des Tanks führen würde.

Schweizer Kurs in der Entwicklung


Aktuell untersuchen die FKS und die International Fire Academy, wie die vom Projekt «HyResponder» entwickelten Inhalte und Lehrmittel für die Ausbildung von Schweizer Feuerwehren genutzt werden können. Ziel ist ein kompakter Kurs, der sich auf das unbedingt erforderliche Hintergrundwissen beschränkt und einfache Einsatzregeln für Feuerwehrangehörige vermittelt. Zugleich soll das in diesem Projekt zusammengetragene Wissen allen Spezialisten zugänglich gemacht werden.

Was wirklich zu wissen notwendig ist und welche Vorgehensweisen im Einsatz die besten sind, ist noch offen, denn darin stimmen alle projektbeteiligten Feuerwehrvertreter überein: Bislang gab es – zum Glück – zu wenig Einsätze mit wasserstoffbetriebenen Fahrzeugen, um auf verlässliche Erfahrungswerte aufbauen zu können. Das wird sich wahrscheinlich ändern: Wasserstoff-Technologien finden nicht nur durch Fahrzeuge und die dazugehörige Infrastruktur immer schnellere Verbreitung. Brennstoffzellen werden zum Beispiel auch für die Notstromversorgung von Mobilfunk-Sendemasten eingesetzt oder finden als Pufferspeicher für Windkraftanlagen Verwendung.

Lesen Sie hierzu auch unsere anderen Magazinbeiträge zum Thema Wasserstoff Was tun, wenn Wasserstoff-Fahrzeuge brennen? und Intervention bei Wasserstoff-Fahrzeugen: Erkenntnisse aus dem Online-Workshop

HyResponder

Das Projekt «HyResponder» wird vom Joint Untertaking (JU) Fuel Cells and Hydrogen 2 unter der Fördervereinbarung Nr. 875089 gefördert. Das JU erhält Unterstützung durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union sowie durch Grossbritannien, Frankreich, Österreich, Belgien, Spanien, Deutschland, Italien, Tschechien, die Schweiz und Norwegen.

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Christian Brauner

Leiter Didaktik- und Entwicklungsteam

Leiter Didaktik- und Entwicklungsteam Christian Brauner