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Erkundung braucht es immer – aber nicht immer Erkundungstrupps

In der Anfangsphase von Brandeinsätzen in unterirdischen Verkehrsanlagen (UVA) herrscht oft Personalknappheit. Deshalb fragen uns viele Teilnehmer, ob es tatsächlich Erkundungstrupps braucht. Unsere Antwort: Es kommt auf die Situation an. Erkundungstrupps werden vor allem dann benötigt, wenn wichtige Informationen möglichst schnell beschafft werden müssen.

Erkundung: Benötigte Informationen beschaffen


Erkunden bedeutet, diejenigen Informationen zu beschaffen, die benötigt werden, um

  • die Lage feststellen und beurteilen,
  • darauf aufbauend Entscheidungen treffen und
  • Aufträge erteilen sowie schliesslich
  • deren Wirkung kontrollieren zu können.

Welche Informationen wann von wem benötigt werden und wie sie zu beschaffen sind, hängt massgeblich von der Einsatzphase ab. Ganz zu Beginn des Einsatzes, bei der Bearbeitung des Notrufes, sind Art und Ort des Ereignisses die beiden wichtigsten Informationen, weil ohne sie nicht zu entscheiden ist, welche Einsatzkräfte wohin entsandt werden müssen. Beschafft werden können diese Informationen in der Regel allein vom Disponenten.

Alle müssen ständig erkunden


Die Erkundung wird zwar primär als Aufgabe der Einsatzleitung gesehen. Tatsächlich müssen aber alle Einsatzkräfte ständig selbst diejenigen Informationen beschaffen, die sie benötigen, um ihren jeweiligen Auftrag richtig und unter Beachtung der eigenen Sicherheit ausführen zu können. Beispiel: Um in einem Tunnel einen Fahrzeugbrand effektiv löschen zu können, muss der Löschtrupp eine Vielzahl von Entscheidungen treffen. Hierzu zählen etwa der Abstand und Stellung zum Fahrzeug, Strahlwinkel, Durchflussmenge und das Kühlen der Umgebung. Viele dieser Entscheidungen werden zwar unbewusst und quasi automatisch getroffen. Wird es dem Strahlrohrführer zu heiss, muss er nicht lange nachdenken, was zu tun ist. Er vergrössert einfach den Abstand zum Feuer. Dennoch basieren alle diese Entscheidungen auf Informationen, die durch Wahrnehmungen und Beobachtungen und deren Verknüpfung mit dem eigenen Wissen und den eigenen Erfahrungen gewonnen werden. Deshalb beobachtet der Löschtrupp gezielt das, von dem er weiss, dass es gefährlich werden kann – nämlich z. B. die Tunneldecke und nicht die Fahrbahn. Erkundung besteht also nicht darin, möglichst viele Informationen zu beschaffen, sondern relevante Informationen. Was aber ist relevant?

Ständiger Auftrag: Gefahren erkennen


Um Gefahren gezielt abzuwehren zu können, müssen sie zunächst als solche erkannt werden. Deshalb müssen alle Einsatzkräfte in jeder Phase des Einsatzes bewusst Hinweise auf und Anzeichen für Gefahren wahrnehmen und diese Informationen ggf. an andere weitergeben. Wenn in einem Bahntunnel der Rauch zu stehen beginnt und nicht mehr wie bisher in eine bestimmte Richtung zieht, kann dies ein Hinweis auf eine beginnende Umkehr der Strömungsrichtung sein. Diese kann für Einsatzkräfte und Reisende auf der bisherigen Anströmseite äusserst gefährlich werden. Deshalb muss jede wahrnehmbare Änderung der Strömungsverhältnisse unverzüglich der Einsatzleitung gemeldet und von dieser an alle eventuell betroffenen Einsatzkräfte weitergegeben werden. Der ständige Auftrag der Gefahrenerkennung bedeutet nicht, immer auch nach versteckten Gefahren zu suchen. Es machte keinen Sinn, im dichten Rauch eines Autobrandes in einem Strassentunnel jedes Fahrzeug auf Gefahrgut zu prüfen – auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass in einem Personenwagen illegal und ohne Kennzeichnung Explosivstoffe transportiert werden könnten. Aber: Wenn irgendwo, sozusagen aus dem Augenwinkel heraus, ein Fahrzeug mit Gefahrgutkennzeichnung gesehen wird, dann sollte dies gemeldet werden.

Der Informationsbedarf ergibt sich aus der Taktik


Abgesehen vom ständigen Auftrag der Gefahrenerkennung ergibt sich der jeweilige Informationsbedarf aus den taktischen Grundsätzen wie dem «Löschen um zu retten» für Brandeinsätze in Tunneln. Im dichten Rauch dauert das Suchen & Retten sehr lange, weil die Einsatzkräfte nur langsam vorankommen. Deshalb soll nicht zuerst gerettet und dann gelöscht werden. Es soll stattdessen sofort mit dem Löschen begonnen werden, um die Rauchbildung zu stoppen und damit die Arbeitsbedingungen für den Such- und Rettungstrupp auf der Abströmseite zu verbessern. Durch dieses Vorgehen können eventuell dort befindliche Personen schneller gerettet werden.

Damit ergeben sich auf den beiden Seiten des Tunnels jeweils unterschiedliche Aufgaben. Auf der Anströmseite ist zu löschen, auf der Abströmseite zu suchen und zu retten. Folglich ist die wichtigste Information die Strömungsrichtung, weil ohne diese Information nicht zwischen Anströmseite und Abströmseite zu unterscheiden ist. Die zweitwichtigste Information ist, wie der Brandort am schnellsten erreicht werden kann; diese Information erfordert es, den genauen Brandort zu bestimmen. Sind Strömungsrichtung, Brandort und schnellster Zugang zu diesem festgestellt, kann der Löschauftrag erteilt werden.

Auf der Abströmseite hingegen ist die wichtigste Information der Rettungsaufwand; dazu ist u.a. die Anzahl und ggf. Art der im Rauch stehenden Fahrzeuge festzustellen. Die untenstehende Grafik zeigt zwei Beispiele dafür, welche Bedeutung die Informationen über die Luftströmung, den genauen Brandort und den schnellsten Zugang haben.  

Wie und von wem werden Informationen beschafft?


Eine andere Frage ist, wie und von wem die jeweils benötigten Informationen beschafft werden. Die Informationsquellen können je nach Anlage sehr unterschiedlich sein. Luftströmung, Brandort und Verkehrssituation können mitunter bereits während der Anfahrt von der Tunnelzentrale mitgeteilt oder anhand von Videoaufnahmen erkannt werden. Oder die Einsatzleitung stellt die Lage selbst vor Ort fest und nutzt dazu Informationen von der anderen Portalseite, etwa dass dort Rauch austritt. Bei Bahntunneln können die Lokführer von Zügen, die vor dem Tunnel angehalten werden, wertvolle Informationsquellen sein und z. B. mitteilen, wo Selbstrettende aus dem Tunnel kommen.

Wann braucht es Erkundungstrupps?


Erkundungstrupps werden dann benötigt, wenn die Einsatzleitung die für die Lagefeststellung relevanten Informationen nicht selbst oder durch einen Lösch- bzw. Such- und Rettungstrupp genügend schnell beschaffen kann. Die nachstehende Grafik zeigt zwei Beispiele, bei denen die Informationsbeschaffung durch den Einsatz von Erkundungstrupps erheblich beschleunigt werden kann.

Wichtig ist der konkrete Erkundungsauftrag


Erkundungstrupps haben nicht die Aufgabe, alles zu erkunden. Sie haben gezielt bestimmte Informationen zu beschaffen. Dafür brauchen sie einen konkreten und möglichst präzisen Erkundungsauftrag der Einsatzleitung, beispielsweise «Rettungsaufwand und Passierbarkeit im Abschnitt Q1 bis Q2 feststellen!» oder «Genauen Brandort im Zug feststellen!».

Aufträge wie «Geht mal erkunden!» genügen nicht. Denn dann wird der Erkundungstrupp zwar irgendwelche Beobachtungen melden, aber nicht in jedem Fall die benötigten Informationen schnell beschaffen und liefern. Deshalb sind die in unseren Kursen und Ausbildungsunterlagen genannten Beispiele für Erkundungsaufträge – zum Beispiel «Genauen Brandort feststellen!» – nur mögliche und keinesfalls stehende Aufträge. Ein Brandort muss nicht vom Erkundungstrupp gesucht werden, wenn er bereits bekannt ist oder von anderen Einsatzkräfte gemeldet werden kann.

Es gibt also keine stehenden oder «automatischen» Erkundungsaufträge. Mit einer Ausnahme: Wie für alle anderen Einsatzkräfte gilt auch für den Erkundungstrupp, immer auf Gefahren zu achten und diese zu melden.

Die Erkundung muss vorbereitet werden


Insbesondere in der Anfangsphase wird die Einsatzleitung häufig von Informationen aller Art überflutet. Versucht sie dann jede eigene Beobachtung oder Meldung anderer auf ihre aktuelle Relevanz zu überprüfen, kann sie schnell überfordert werden. Anstatt alle Informationen zu bearbeiten, sollte die Einsatzleitung deshalb gezielt auf jene Informationen fokussieren, die im jeweiligen Moment tatsächlich benötigt werden. Dies tut sie, indem sie konkrete Frage stellt, z. B. nach dem genauen Brandort.

Diese Erkundungsfragen sollten in der Einsatzvorbereitung definiert werden, zumal sie oft auch anlagenspezifisch sind. Bei einem einröhrigen Tunnel ohne seitliche Zugänge stellen sich andere Fragen als bei einem zweiröhrigen mit Querschlägen. Und für Einsätze in einem Bahntunnel müssen viel mehr Informationen beschafft werden als bei einem Strassentunnel, etwa ob der Fahrbetrieb eingestellt und die Fahrleitung ausgeschaltet und geerdet ist. Beispiele und Mustervorlagen dazu stellen wir im Bereich «Wissen» zur Verfügung.

Das Erkunden sollte trainiert werden


Erkunden ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, die trainiert werden sollte. Dafür eignet sich die Planspieltechnik sehr gut, die wir auch in unseren Führungskursen einsetzen. Hier kann anhand einfacher Szenarien gelernt werden, welche Informationen wirklich wichtig sind und wie sie beschafft werden können. Geübt werden sollte hier auch das Zusammenspiel von Einsatzleitungen und Erkundungstrupps. Aus unserer Ausbildungspraxis wissen wir, dass es gar nicht einfach ist, konkrete Erkundungsaufträge präzise und unmissverständlich zu formulieren – und diese dann auch richtig zu erfüllen. Es braucht beispielsweise einige Übung bis Erkunder wissen, was «Passierbarkeit feststellen!» genau bedeutet.

Erkunden ist das gezielte Beschaffen relevanter Informationen


Erkunden ist weit mehr als «mal gucken gehen, was los ist». Erkundung ist die gezielte Beschaffung von Informationen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt relevant sind, also benötigt werden. Dazu können sich Einsatzleiter vieler Informationsquellen bedienen. Um zu erfahren, ob auf der anderen Portalseite Rauch austritt, muss man keinen Erkundungstrupp losschicken; es genügt eine Anfrage bei der Gegenseite. Nur wenn die gesuchten Informationen nicht anders ausreichend schnell zu beschaffen sind, sollten Erkundungstrupps eingesetzt werden. Dann aber kann ihr Einsatz äusserst wertvoll sein.

IFA
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Ihr direkter Kontakt

Marianne Wernli

Leiterin Ausbildung

Leiterin Ausbildung Marianne Wernli