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Regeln allein genügen nicht

Unsere Kursteilnehmer erwarten von unseren Instruktoren klare Aussagen, die sie sich merken und im stressbeladenen Einsatz abrufen und praktisch umsetzen können. Zum Beispiel: «Der Erkundungstrupp rettet nicht!» Wie aber können die Ausnahmen von solchen Regeln kommuniziert werden, ohne deren Prägnanz zu verlieren? Mit dieser Frage beschäftigten sich unsere hauptamtlichen Instruktoren im Zuge ihrer internen Fortbildung. Sie stiessen dabei auf einen hilfreichen Begriff der Sprachlogik: Allquantoren. Das sind Worte wie «nie, immer, alle, jeder». Ausserdem diskutierten sie die Verwendung von Modalverben wie «müssen» und «sollen» in Lehraussagen.

Kleine Worte mit grosser Aussagekraft


Die Sprachlogik versteht unter Quantoren Ausdrücke, die angeben, für wie viele Elemente einer bestimmten Menge eine Aussage gilt: Zum Beispiel: «Viele Tunnel haben Notausgänge.» Allquantoren machen hingegen eine Aussage über alle Elemente einer bestimmten Menge. Zum Beispiel: «Alle Tunnel haben Portale.»

Gibt es wirklich keine Ausnahme?

Allquantoren schaffen Klarheit, indem sie Komplexität reduzieren. Eine Aussage wie «Der Erkundungstrupp rettet nie!» liesse keine Ausnahme zu. «Nie» heisst «nie». Tatsächlich gibt es jedoch Situationen, in denen auch der Erkundungstrupp retten soll. Die International Fire Academy lehrt: Stösst der Trupp auf den ersten rund zehn Metern seiner Erkundungsstrecke auf eine hilflose Person, bringt er diese in Sicherheit. Ist er jedoch bereits tiefer in den Tunnel eingedrungen, markiert er die Fundstelle und fordert einen Such- & Rettungstrupp nach. Die korrekte Lehraussage lautet also z. B.: «In der Regel führt der Erkundungstrupp keine Rettung durch.»

Regeln allein genügen in der Ausbildung nicht


Das didaktische Problem ist: Um Regeln richtig anwenden zu können, sollte man auch deren Hintergrund, Sinn und Zweck kennen. Diese müssen erklärt werden: Der Erkundungstrupp soll nicht «nie», sondern nur nicht über längere Wegstrecken retten. Denn erstens könnte die verzögerte Erkundung den Einsatzerfolg gefährden. Zweitens ist der Erkundungstrupp nicht für das Retten ausgerüstet. Auch führt er weder Fluchthauben noch Tragehilfen mit sich. Nur der nachgeforderte Such- & Rettungstrupp kann die zu rettende Person mit Fluchthaube gegen Brandgase schützen und mit einer Schleifkorbtrage mit Rollen zügig aus dem Tunnel hinausbringen.

Erfahrung macht Regeln verständlich

Aber selbst die theoretische Herleitung einer Regel genügt oft nicht, um sie im Einsatz zielführend anwenden zu können. Häufig fragen Kursteilnehmer, warum der Erkundungstrupp nicht auch über eine Distanz von 50 oder 100 Metern retten können sollte. Die Antwort gibt die praktische Erfahrung. Nach einigen Einsatzübungen wissen unsere Kursteilnehmer, wie schwierig es einerseits ist, einen leblosen Körper über weite Strecken zu tragen. Und wie schnell dies andererseits ein Such- & Rettungstrupp mit einer Schleifkorbtrage mit Rollen leisten kann. Das hilft beim situativen Abwägen, welche Vorgehensweise schneller zum Ziel führt.

Ausnahmen gibt es fast immer


Eine ausführliche Erklärung aller Lehraussagen wäre zwar wünschenswert, ist aber in der verfügbaren Ausbildungszeit kaum zu leisten und kann zu einer Überfrachtung der Lernenden mit Informationen führen. Deshalb sind verkürzende Lehraussagen unverzichtbar. Damit diese jedoch nicht «blind» befolgt werden, sollte durch Formulierungen wie «in der Regel», «meistens» oder «normalerweise» auf mögliche Ausnahmen hingewiesen werden. Damit werden die Kursteilnehmer aufgefordert, in Übung und Einsatz selbst abzuwägen, wie die Regel situativ anzuwenden ist.

«Immer» sagen, wenn «immer» gemeint ist

Andererseits sollten Allquantoren bewusst dort als sprachliches Mittel eingesetzt werden, wo absolute Aussagen den Lernenden Sicherheit geben können: «Bei Einsätzen auf Bahnanlagen ist immer ein Vertreter des Infrastrukturbetreibers einzubeziehen.» Das heisst: Es ist nie falsch, zuerst den Kontakt zum zuständigen Bahnunternehmen zu suchen, bevor Einsatzkräfte im Gleisbereich tätig werden. Denn die Feuerwehrangehörigen können keinen direkten Einfluss auf den Bahnbetrieb nehmen. Sie können weder Strecken sperren noch Züge anhalten.

Ist eine Handlung wirklich notwendig?


Ähnlich wie mit den Allquantoren verhält es sich mit Modalverben, die in der folgenden Tabelle aufgelistet sind. Wann ist die Aussage, dass etwas getan werden muss – oder nicht getan werden darf – wirklich richtig? Auch hier zeigte die Selbstreflexion unserer Instruktoren, dass absolute Aussagen nur selten gerechtfertigt sind.

Wann «müssen», wann «sollen»?

Ein Beispiel für eine Lehraussage, bei der wir bewusst das Wort «müssen» verwenden: «Bei Einsätzen auf Bahnanlagen müssen die Fahrleitungen beiderseits der Einsatzstelle ausgeschaltet und geerdet sein.» Die Konsequenz: Es ist richtig, abzuwarten, bis die Erdung erfolgt ist. «Sollen» bedeutet hingegen, etwas zu tun, soweit es möglich und situativ sinnvoll ist. So sollte der Löschangriff aufgrund der dort meist besseren Arbeitsbedingungen auf der Anströmseite eines Brandes vorgenommen werden. Es gibt aber Situationen, in denen dies nicht möglich oder die Brandbekämpfung auf der Abströmseite deutlich schneller zum angestrebten Löscherfolg führt.

Ausnahmen kennen und kommunizieren


«Der Abstand zwischen zwei Notausgängen beträgt in einem Strassentunnel auf Schweizer Nationalstrassen maximal 300 Meter.» So steht es in der Norm. So ist es meistens. Aber so ist es nicht immer: Das folgende Bild zeigt eine durch einen Unfall beschädigte Notausgangstür, wodurch sich die Distanz zwischen den Notausgängen hier zeitweilig auf 600 Meter verdoppelte.

Einsatzsituationen sind Ausnahmesituationen

Natürlich ist es nicht sinnvoll, unsere Einsatzlehre nach solchen seltenen Ausnahmen auszurichten. Zu einer umfassenden Ausbildung gehört jedoch nach unserem Selbstverständnis, unsere Kursteilnehmer darauf vorzubereiten, dass viele Einsatzsituationen weder Normen noch dem gesunden Menschenverstand entsprechen. Deshalb versuchen wir, mögliche Ausnahmen zu erkennen und zu kommunizieren und klar das Wenige zu benennen, das «immer» oder «nie» gilt und was «sein muss» oder «nicht sein darf».

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...über Einsätze, Lehrunterlagen, Technik, bewährte Einsatzmittel, Gefahren und andere feuerwehrrelevante Themen in unseren zahlreichen Magazinbeiträgen.